Digitale Gewalt: Was tun gegen Kontrolle, Zwang und Bedrohungen im Netz?

Digitale Gewalt

Dienstag, 16.04.2024, 19.30 – 21 Uhr: Sehr komprimiert und dennoch gut verständlich berichteten die beiden Referentinnen über die unterschiedlichen Formen von frauenfeindlicher, digitaler Gewalt und was es für Gegenmaßnahmen gibt.

Corinna Dolezalek konnte nicht persönlich anwesend sein. Sie hielt ihren Vortrag per Videocall und nahm auf diesem Wege auch am anschließenden Expertinnengespräch teil.

Bilder vom Frühjahrstreffen 2024 gibt es im Album!

Notizen von der Veranstaltung finden sich weiter unten.

Revenge Porn, digitale Kontrolle, Beschimpfungen und Bedrohungen im Netz: die Digitalisierung hat viele neue Arten geschlechtsspezifischer Gewalt möglich gemacht. Der Sammelbegriff dafür ist digitale Gewalt – er umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Willkürakte, die auf Herabwürdigung, Rufschädigung, soziale Isolation, Kontrolle sowie Erpressung und Nötigung abzielen. Dafür bedienen sich die Täter*innen digitaler Hilfsmittel. Polizei und Gerichte sind auf diese Formen von Gewalttätigkeit oft nur schlecht vorbereitet und auch Betroffene wissen sich häufig nicht zu helfen.

Corinna Dolezalek

Corinna Dolezalek

Nicole Najemnik

Dr. Nicole Najemnik

Über Gefahren und Folgen digitaler Gewalt, aber auch Möglichkeiten, sich gegen sie zur Wehr zu setzen, sprechen wir mit zwei ausgewiesenen Expertinnen:
Dr. Nicole Najemnik, die als Digitalisierungsexpertin zu Ungleichheit und Hürden bei der Teilhabe im Netz und zur digitalen Gewalt gegen Frauen und Mädchen forscht, sowie Corinna Dolezalek, die für die Vernetzungsstelle gegen Hate Speech „Das Nettz“ Antifeminismus und Manosphäre im Internet beobachtet und als wissenschaftliche Referentin das Förderprogramm „Demokratie im Netz“ begleitet. Die Moderation übernimmt Barbara von der Mark.

Wie bei jedem AKF-Frühjahrstreffen ist anschließend noch Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen und Netzwerken.

Dr. Marita Alami hat sich Notizen gemacht:

 
Corinna Dolezalek machte den Anfang und berichtete aus der wissenschaftlichen Analyse misogyner (frauenfeindlicher) Ideologien und Praktiken, die unter dem Titel „Tracing Online Misogyny“ in Kooperation zwischen Das NETTZ (www.das-nettz.de), BAG gegen Hass im Netz (www.bag-gegen-hass.net) und Textgain (www.textgain.com) entstanden war. Die Studie kann hier vollständig heruntergeladen werden.

Corinna Dolezalek legte dar, das misogyne Angriffe online in verschiedener Weise erfolgen, z.B.:

  • Abwertung des Aussehens
  • Darstellung von Frauen als intellektuell unterlegen
  • Rachepornos (nicht einvernehmliche Veröffentlichung von Videomaterial sexueller Handlungen, die einvernehmlich oder ohne Einvernehmen erstellt worden sein können)
  • Doxing (Veröffentlichung privater Daten mit dem Ziel, Bedrohungen und Übergriffe zu generieren und eine Wahrnehmung von tatsächlicher oder gefühlter Bedrohung bei Betroffenen zu schaffen)

Sie benannte auch misogyne Subkulturen, die online aktiv sind, wie Pick-Up Artists (de.wikipedia.org/wiki/Pick-Up_Artists) , Incels (de.wikipedia.org/wiki/Incel) und ‚Männerrechtler‘, die die Errungenschaften der Frauenbewegungen wieder zurückdrehen wollen.

Dr. Nicole Najemnik brachte ein ganzes Bündel an Vorbeuge- und Sicherheitsmaßnahmen mit:

  • sparsamer Umgang mit den eigenen Daten im Internet (persönliche Daten, Fotos und Videos nie ohne Nachzudenken veröffentlichen)
  • alte, nicht mehr genutzte Konten bei Online-Anbietern oder Online-Plattformen löschen
  • Webcams an Laptops dagegen schützen, dass sie ohne eigenes Zutun aufnehmen
  • immer berücksichtigen, dass in öffentlichen WLAN-Netzen der eigene Datenverkehr von unbefugten mitgelesen und abgegriffen werden kann
  • angebotene Zwei-Faktor-Authentifizierung wahrnehmen, bei der noch ein zweites Gerät zum Einsatz kommt oder eine Sicherheitscode an die E-Mail-Adresse gesandt wird
  • die Möglichkeiten von Datenschutzeinstellungen auch nutzen, insb. bei Facebook & Co.
  • sparsamer Umgang mit der Standortfreigabe auf mobilen Geräten
  • aufmerksam werden, wenn sich das eigene Gerät ungewöhnlich verhält (sonderbare Geräusche bei Telefonaten, grundlose Neustarts, hoher Akku- oder Datenverbrauch) – es könnte sich um Spyware handeln
  • Anti-Malware-Apps verwenden
  • die Liste der installierten Apps regelmäßig prüfen
  • immer mal den eigenen Namen suchen, auch mit weniger bekannten Suchmaschinen

Sollte es zu einem Übergriff im Netz kommen, ist die Empfehlung, sofort einen Screenshot zu machen, das Datum und die URL zu notieren und alle Informationen zu speichern, die den Ermittlungsbehörden helfen können. Betroffene sollten die Löschung solcher Inhalte dann schnell beim jeweiligen Online-Anbieter beantragen. Wer Übergriffe auf andere im Netz entdeckt, sollte die Betroffenen sofort kontaktieren.

Leider stellen immer noch zu wenig Betroffene Strafanzeige und die gesamte Bandbreite und die Auswirkungen der digitalen Gewalt sind bei Polizei und Justiz noch zu wenig bekannt. Daneben sollte auch ein zivilrechtliches Vorgehen in Betracht gezogen werden, denn nur so kann erreicht werden, dass die Übergriffe aufhören und Inhalte tatsächlich vernichtet werden.

Abschließend rief Dr. Nicole Najemnik dazu auf, trotzdem sichtbar zu bleiben! Aber sich zu schützen, sich zu wehren und solidarisch zu handeln.

In der darauffolgenden Diskussion wurde noch einmal näher auf die Beweissicherung eingegangen. So können auch ganze Chatverläufe archiviert werden. Zu den misogynen Gruppierungen wurde ergänzt, dass sie zumeist nicht sehr mitgliederstark sind, aber ihre Influencer leider recht anschlussfähig im Mainstream.

Ein weiterer Diskussionspunkt war, dass digitale Gewalt zwar alle treffen kann, es aber nicht alle gleich trifft. Der online verbreitete Hass gegen Frauen ist sehr viel sexualisierter und jüngere Frauen mit sichtbarer Migrationsgeschichte sind besonders betroffen, ebenso Frauen, die sich in der Politik oder in Gaming-Kontexten exponieren, denn sie bewegen sich in einer Sphäre, die ihnen vermeintlich nicht zusteht. Dagegen hilft, migrationsfreundliche und / oder feministische Inhalte im Internet zu vertreten und zu verbreiten. Dabei muss z.B. bei Online-Öffentlichkeitsbeteiligungsangeboten nicht zwingend immer der Klarname angegeben werden.

Auch über Deepfakes (de.wikipedia.org/wiki/Deepfake) wurde diskutiert. Sie sind leider nicht immer illegal, stellen aber einen Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild, das Persönlichkeitsrecht oder das Urheberrecht dar. In diesem Zusammenhang kam auch zur Sprache, dass viele KI-Algorithmen latent sexistisch und rassistisch sind, und die Frauenperspektiven sowie nicht-binäre Perspektiven durch KI noch zu wenig berücksichtigt werden. Immerhin beginnt sich KI in weiblicher Erscheinung zu wehren, wenn sie beleidigt wird, z.B. ‚Alexa‘.

Dies war die Einladung: Digitale Gewalt_Was tun gegen Kontrolle, Zwang und Bedrohungen im Netz_16.04.2024 (pdf-Datei, 243 KB)

Veranstaltet in Kooperation mit der Melanchthon-Akademie Köln, www.melanchthon-akademie.de.

Veranstaltungsort:
Evangelisches Jugendreferat Köln und Region, Vor den Siebenburgen 2, 50676 Köln, Lageplan
Und hier ist der Lageplan zum Ausdrucken: Digitale Gewalt_Lageplan_16.04.2024 (pdf-Datei, 200 KB)