Die Zeiten ändern sich – Wie entwickeln sich Frauenorganisationen weiter?

Dienstag, 25.04.2023, 19.30 – 21 Uhr: Gut besucht und sehr inspirierend waren Vortrag und Austausch beim AKF-Frühjahrstreffen zur weiteren Entwicklung von Frauenorganisationen. Es wurden viele Anregungen und Denkanstöße mitgenommen und auch neue Kooperationen angebahnt.

Bilder vom Frühjahrstreffen 2023 gibt es im Album!

Auf der einen Seite ist freiwilliges Engagement für junge Menschen immer selbstverständlicher geworden und gehört zur Work-Life-Balance dazu. Auf der anderen Seite klagen verfasste Vereine und Verbände über Nachwuchsmangel. Wie passt das zusammen? Wie zeitgemäß sind unsere Menschen- und Frauenbilder noch? Auf welchen Gebieten haben sich Frauenorganisationen überholt und auf welchen Gebieten sind sie (leider) immer noch hochaktuell?

In ihrem Impulsvortrag regte Anne Rossenbach, Politikwissenschaftlerin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit & Ehrenamt beim SkF Köln, zum Nachdenken an und bürstete bestehende Gewissheiten charmant gegen den Strich.

Der anschließende Austausch wurde von Barbara von der Mark moderiert. Zur Sprache kamen aktuelle Fragestellungen aus dem Alltag Kölner Frauenorganisationen, frische Ideen aus der Runde und Beispiele guter Praxis.

Hier die Notizen / Mitschrift von Dr. Marita Alami:

Die Politikwissenschaftlerin Anne Rossenbach hat vor ihrer jetzigen Tätigkeit beim SkF Köln lange im Bundestag als Referentin – auch zu Frauenthemen – gearbeitet. Sie startet eine kleine Umfrage bei den Anwesenden, die zeigt, dass es ihnen vor allem um die Mitglieder- und Vorstandsmitgliedersuche geht.

Anne Rossenbach

beginnt ihren Input mit dem Hinweis auf das ‚Kölner Netzwerk Bürgerengagement‘ (www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/soziales/ehrenamt/koelner-netzwerk-buergerengagement), das gute Strukturen in Köln geschaffen hat. Schon vor Corona war es nicht das Problem Ehrenamtliche zum Mitmachen zu finden, sondern für Vereinsmitgliedschaft und Vorstandsarbeit. Als Beispiel führt sie die große Hilfsbereitschaft für Geflüchtete und – bei Corona – für Ältere an. Nach Corona hat die Bereitschaft zum Mittun etwas abgenommen, besonders wenn zunächst eine kleine Schulung erforderlich ist (Prävention, spezielle Kompetenzen). Sie führt das auf zurzeit vorhandene Ängste in der Bevölkerung zurück, erst um die Gesundheit, dann wegen des Krieges und der damit verbundenen Kostensteigerungen: Reicht mein Einkommen? Statistisch sind 30% der Menschen hierzulande ehrenamtlich tätig, allerdings inklusive der Mitglieder in Sportvereinen, ob im Verein aktiv oder nicht.

Um Vorstandsfrauen erfolgreich zu werben, müssen sich die Vereine zunächst als Frauenorganisation selbst vergewissern und dabei auch die aktuellen Geschlechterfragen einbeziehen, unabhängig davon, dass die neuen Genderfragen z.T. regelrecht verhasste Themen und noch nicht unbedingt in der Mehrheit der Gesellschaft angekommen sind. Aber: die Diversität von Geschlechtsidentitäten will nicht mehr versteckt werden, auch wenn einige ‚die Welt immer noch binär sehen‘. Es ist erforderlich, sich damit auseinander zu setzen, jünger Zielgruppen tun das auch.

Die zweite Frage der Selbstvergewisserung ist: Was macht unsere Organisation ‚für die Welt da draußen‘ attraktiv? Die strukturelle Frauenverachtung hat gegenüber früheren Zeiten abgenommen. Heute geht es um spannende Angebote, Ziele, die Sinn machen, Zielgruppen, die ziehen. Wichtig ist, dass ein Kernthema erkennbar ist und in der Außendarstellung mehr der Sinn zum Tragen kommt als die Organisation.

Hilfreich kann es auch sein, Vorstandsämter nach den Professionen der Vorstandsmitglieder zu besetzen, denn dann kann die Arbeit besser ‚nebenher‘ bewältigt werden – neben Beruf, Familie, Hund, Sport, mit Freundinnen und Freunden essen gehen … Die Lebensanforderungen- und wünsche sind breiter geworden.

Darüber hinaus können bestehende Vereinsstrukturen durchaus überdacht werden, z.B. Wie viele Mitglieder brauchen wir? Satzungen können geändert werden. Manche Dinge haben sich auch erübrigt; bestimmte Arbeiten werden nicht mehr gebraucht. Wenn es Vereine mit sehr ähnlichen Portfolios gibt, können sie sich auch zusammenschließen. Das kann zum Erhalt der Arbeit beitragen, sie stärken und Konkurrenzen vermeiden.

Zu fragen ist auch, ob die Themen, für die der Verein steht, wirklich noch ‚dran sind‘? Ist das Leben, das die jetzigen Aktiven führen, für Jüngere noch attraktiv? Was macht unseren Verein für 25-Jährige anziehend?

Ältere können den Platz frei zu machen, Vereine können sich öffnen – auch für Frauen mit erkennbarer Zuwanderungsgeschichte – und Vorbehalte beiseite legen, inklusiv sein, z.B. für Frauen mit Rollstuhl, Erwerbslosigkeit, ehemaliger Obdachlosigkeit – gebrochene und belastete Biographien gibt es viele.

Es geht um ein mehrstufiges Vorgehen: 1. Ehrenamt im Sinne von Mittun finden, 2. diese Menschen im Verein halten, 3. sie für eine passende Vorstandsarbeit gewinnen.

Engagement auf Social Media ist für diese Dinge keine Hilfe, auch dann nicht, wenn es hochprofessionell betrieben wird. Wirkungsvoll sind Veranstaltungen, Mund-zu-Mund-Verbreitung und Empfehlungen in den Freundes-/Freundinnenkreisen.

Eliana Moravia bestätigt, dass Zusammenschlüsse eine gute Lösung sein können, und berichtet von einem Sportverein, der Probleme hatte den Vorstand zu bilden, aber seine Arbeit retten konnte, indem er ein Dach bei einem anderen Sportverein fand, der ihn als Gruppe aufnahm.

Die Präsidentin des ILC Köln e.V. schildert, dass der Internationale Lyceum Club dieses Jahr sein 120jähriges Bestehen feiert, früher recht elitär aufgestellt war und in seiner Mitgliederstruktur ziemlich überaltert ist. In Köln wird seit einiger Zeit das Club-Programm bewusst differenziert: für Ältere eher tagsüber, für Jüngere abends.

Eine Vertreterin von SI Köln-Kolumba berichtet, dass sich ‚Kooperationen im Feld‘ sehr bewährt haben, z.B. verschiedener Frauen-Service-Clubs mit der Stadt Köln zu den Orange Days (orangedays-koeln.de). Wichtig sei es außerdem, Nachwuchsorganisationen zu bilden.

Marita Alami ergänzt, dass dieses Beispiel zeigt, wie über ein Thema, einen Sinn nach außen kommuniziert werden kann.

Eine Vertreterin vom KDFB führt an, dass Ihr Verband gute Erfahrungen damit gemacht hat, sich der Maria 2.0-Bewegung als zeitgemäßem Thema angeschlossen zu haben.

Eliana Moravia kommt auf den Umgang der Generationen miteinander zu sprechen. Jüngere wollen oft unter sich sein, sich die Dinge gemeinsam selbst erarbeiten. Wenn lauter Ältere, Erfahrenere dabei sind, kann es zu einem Mangel an Anerkennung für die Leistungen der Jüngeren kommen. Und die Älteren haben auch nicht immer Lust, alles zu erklären. Damit Vorstandsarbeit attraktiv bleibt und wird, sind gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung unabdingbar.

Eine Vertreterin von Beginen Köln e.V. weist auf die Möglichkeit hin, dass eine ältere Frauenorganisation mit einer jüngeren kooperieren kann, z.B. im Beginenfenster mit ‚Umsteuern! RobinSisterhood e.V.‘ (um-steuern.org).

Brigitte Schäfer legt dar, dass oft junge Frauen die Themen der Älteren ganz neu entdecken. Wichtig für die Älteren ist es, sich zu öffnen und nicht zu selbstzufrieden zu sein.

Eine Vertreterin des Kölner Frauengeschichtsvereins e.V. teilt mit, dass sich auch ihr Verein aktiv um mehr Diversität bemüht z.B. auch durch moderne Themen wie faire Mode, Kolonialismus, Josefine Backer, Angela Davis. Ohne bewusst zu exkludieren wird oft nicht genug inkludiert. Sie sind aktiv auf junge Genderforscherinnen zugegangen, sodass ‚U30 auf Ü60 trifft‘.

Joachim Ziefle (Melanchthon-Akademie) erwähnt Gesundheit als aktuelles Thema, das besonders bei jüngeren Frauen eine bedeutende Rolle spielt. Sie sind sich der enorm hohen Belastungen, denen sie ausgesetzt sind, sehr bewusst und auch, dass diese strukturell verankert sind und politisch durchaus gegengesteuert werden könnte.

Anne Rossenbach

greift noch einmal das Thema ‚Vielfalt und Inklusion‘ auf. So ist dies bei den Gewerkschaften mit Menschen, die erkennbar eine Zuwanderungsgeschichte haben, schon ganz gut gelungen. Konfessionelle Frauenorganisationen müssen sich zu Themen bekennen, wenn sie junge Frauen finden und halten wollen. Und auch das Milieu spielt eine wichtige Rolle, ob mit oder ohne Migrationsgeschichte: Wo bewegen wir uns?

Auf Corona geht sie mit folgendem Aspekt ein: Jungen Menschen fehlt die Coronazeit für die Persönlichkeitsentwicklung im Austausch mit Gleichaltrigen. Jetzt kommt der gesamte Forderungskatalog der Vor-Coronazeit auf die zu, obwohl sie zunächst noch ‚Leben nachholen müssen‘. Es ist gut, sie erst einmal in Ruhe zu lassen und ihnen die Initiative zu überlassen.

Eine für die Gewinnung von Mitgliedern attraktive Außendarstellung ist auch, als Verein nicht im ‚Defizit-Thema zu stehen‘, sondern im ‚Gewinn‘. So stellen die ‚Working Moms e.V. ‘ ihre Stärken als beruflich erfolgreiche Mütter heraus.

Berit Schaller widerspricht: auch eine realistische Darstellung der Gegebenheiten funktioniert, wenn es darum geht Menschen über ein Thema zu gewinnen. [Anm. der Verfasserin: z.B. bei Maria 2.0].

Anne Rossenbach: ergänzt, dass es ihr nicht ums Glattbügeln geht, sondern darum, in der Selbstdarstellung der Organisationen nach außen ‚mehr in die Kraft zu gehen‘.

Im anschließenden informellen Austausch wird deutlich, dass gerade auch die pointierteren Aussagen der Referentin die Anwesenden zum Nachdenken und zu neuen Vorschlägen für die eigene Organisation angeregt haben.

Dies war die Einladung: Die Zeiten ändern sich– Wie entwickeln sich Frauenorganisationen weiter_25.04.2023 (pdf-Datei, 211 KB)

Veranstaltet in Kooperation mit der Melanchthon-Akademie Köln, www.melanchthon-akademie.de.